Bomber Harris, do it again?!

Gestern auf meiner Twittertimeline flatterte mir ein Retweet entgegen der besagte, angesichts der 25.000 Toten der RAF-Angriffe auf Dresden “Bomber Harris” zu danken spiele nur der Empörung der Rechten in die Hände. Tweet und Retweet kamen beides von (laut Followerzahl offensichtlich) etablierten Twitter-Feministinnen. Deswegen ärgerte mich die Aussage wirklich ganz besonders, denn eigentlich sollten gerade Feministinnen mit intersektionalem Anspruch die Taktik aus den eigenen Reihen kennen. Der Wahrheitsgehalt einer Aussage bemißt sich nicht an der provozierten Reaktion – entweder man kann sie gut begründen oder halt nicht, alles andere ist erst mal nachrangig. Ein Argument damit abzuwehren, daß es angeblich durch seine Radikalität den Erfolg des gemeinsamen Anliegens gefährdet, nutzt insofern niemals der Sache – ganz im Gegenteil! Mit einer solchen Appeasementpolitik gesteht man den gegnerischen Positionen eine Validität zu, die man ihnen eigentlich absprechen möche; in dem konkreten Fall gibt man der Empörung der Nazis also einfach nur recht.

 

Ich will gar nicht unterstellen, daß das bewußt oder beabsichtigt ist; meist resultiert es einfach aus einer abstrakt moralischen Einstellung nach dem Motto Krieg ist aber schlimm und die mehr oder weniger unschuldigen zivilen Opfer zu rechtfertigen oder gar zu feiern ist verwerflich. Eine solche Dekontextualisierung des Ereignisses ist nun aber genau das, was die Nazis (und halt auch der deutsche Mainstream) auch betreiben, denn nur so kann man sich auch als Deutsche*r mal richtig schön als Opfer fühlen.

 

Mit der Parteinahme für “Bomber Harris” geht es dagegen ganz klar darum, der rechtsextremen bis durchschnittsdeutschen Trauer um die ach so unschuldigen DresdnerInnen entgegenzusetzen, daß dieser Angriff nicht aus dem Nichts kam, sondern eine Reaktion auf den deutschen Vernichtungskrieg war. Dresden, Köln, Hamburg und Berlin gingen immerhin Coventry voraus, der London Blitz, der Russlandfeldzug und nicht zu vergessen der Holocaust.

 

Es ist schon ein bißchen banal, aber offensichtlich gleichzeitig nicht so selbstverständlich daß man es nicht sagen muß: Selbstverständlich ist der Widerspruch von Moral und Luftangriff auf rein moralischer Ebene nicht auflösbar. Natürlich ist es schlimm, wenn Menschen sterben – diejenigen unter den toten DresdnerInnen, die von einem Nachkriegsgericht aufgrund ihrer Verbrechen zum Tod verurteilt worden wären, waren sicherlich in der Minderheit; und daß ein Tod immer als subjektive Tragödie daherkommt, egal ob jemand nun schuldig ist/war oder nicht, das liegt in der Natur von Subjektivität. Genau das ist aber das Problem – wie will man subjektives Leid gegen subjektives Leid aufwiegen? Ohne einen Kontext, einen Bezug auf Objektivität geht das nicht und dieser Bezug, der hartnäckig nicht gemacht wird, wäre dann die nationalsozialistische Gesellschaft, soll heißen die deutsche Volksgemeinschaft zu thematisieren, also daß die überwältigende Mehrheit der Deutschen nicht nur zum Mord ausgezogen war sondern auch zum Raub und sich über den Krieg und Zwangsarbeit ordentlich bereichert hat, ohne da in irgendeiner Weise Skrupel zu haben.

 

Die implizite Aussage des oben genannten Tweets ist aber nun, daß eine Parteinahme für die Allierten aufgrund ethischer Vorbehalte (es sind ja Menschen gestorben) nicht möglich ist – zumal auch, so wird ergänzt, die Person, die gemeinhin als Kopf hinter den RAF-Luftangriffen gilt, Arthur Harris, der je nach Kontext mal “the bomber”, mal “the butcher” genannt wird, ein Rassist und Massenmord-Organisator gewesen sei. (vgl. Indymedia-Beitrag von 2003)

 

Ich finde auch, daß das thematisiert werden muß – und trotzdem bleibt im Kontext von Dresden eine moralische Beurteilung problematisch, wenn sie nicht sehr differenziert daherkommt – und das sehe ich schon wieder nicht. Denn niemand würde Arthur Harris als messianische Figur und Heilsbringer beschreiben; daß das unterstellt wird ist auch schon wieder so ein Abwehrmechanismus gegen die “übertriebenen” antideutschen Positionen.

Anders gefragt: Was bringt denn eine gesinnungsethische Beurteilung der Person, die als pars pro toto für die britischen Luftangriffe steht? Auch hier wird wieder abstrahiert, nämlich vom RAF-Einsatz gegen Deutschland, um den es ja konkret geht - nicht um die Person. Alles was man damit erreicht ist eine Analogie zwischen den kolonialen Verbrechen des britischen Empires und den deutschen Greueltaten herzustellen, also schlußendlich eine revisionistische “Ihr seid auch nicht besser”-Derailing-Taktik, was auch noch einer Nivellierung von Auschwitz gleichkommt. (Was in keiner Weise bedeutet, daß ich die koloniale Vergangenheit Großbritanniens schön reden will; es ist nur einfach ein eigenes Thema, um das es an der Stelle “Dresden” nicht geht und auf ne Art wie gesagt gar nicht gehen kann...)

 

Also ja, ich fände es auch schön, gäbe es einen moralisch integeren Helden in glänzender Rüstung, dem ich für die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus danken könnte. Noch schöner wäre natürlich, wären die 25.000 Toten von Dresden nicht nötig gewesen – weil Deutschland vorher kapituliert hätte; oder den Krieg gar nicht erst angefangen und auch keine JüdInnen verfolgt und ermordet… Aber so wie die Dinge stehen, sehe ich die  Anrufung von “Bomber Harris” als dem Inbegriff der Allierten als Widerspruch gegen den deutschen Opfermythos immer noch als legitim an und ich finde es wichtig, darauf zu bestehen, daß die Angriffe auf Dresden weder unverschuldet waren noch unabhängig von der schlußendlichen Befreiung vom Nationalsozialismus. (Und auch wenn die überwältigende Mehrzahl der Deutschen das Ende des Krieges als Niederlage nicht als Befreiung empfand, sollte man aus heutiger, liberaler, linker oder wie auch immer Perspektive doch dankbar dafür sein, daß die Allierten dem deutschen Vernichtungskrieg 1945 ein Ende gesetzt haben.)

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