Rassismus und Jim Knopf

Black-Facing bei Wetten Dass…? – wenn das nicht ein passender Abschluß des Jahres ist, das mit einer Debatte um die Streichung rassistischer Begriffe aus Kinderbüchern begann. (Naja, zumindest fast – ich dreh mir das jetzt kalendarisch so ein bißchen hin wie’s mir paßt um am Jahreswechselmythos festhalten zu können. ;-)) Neben dem Black-Facing und seinen VerteidigerInnen, wäre an der ganzen Augsburg-Aktion eigentlich auch zu problematisieren, wie denn der Aufhänger, [Michael Endes Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer bzw. deren mehrfache (!) Adaptionen durch die Augsburger Puppenkiste als lokaler Bezug] so völlig unthematisiert bleiben konnte. Wieso, um Himmels willen, muß denn von allen Geschichten, die die Puppenkiste jemals umgesetzt hat, nun ausgerechnet Jim Knopf verkleidungstechnisch umgesetzt werden? Es hätte ja auch das Urmel sein können. Offensichtlich hat das aber nicht den gleichen Stellenwert im kulturellen Gedächtnis – vielleicht weil ihm die weltanschauliche Gehalt von Endes Büchern fehlt?

 

In anderen Worten: scheinbar geht es nicht nur um Nostalgie, also um Assoziationen wie Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer, Helden unserer Kindheit, in Buchform oder als putzige Marionetten der Augsburger Puppenkiste, ach wie schön. Ganz warm wird einem da ums Herz.  

Wenn Kinderbücher mit Märchen etwas gemeinsam haben, dann ist es ihre pädagogische Botschaft, die “Moral von der Geschicht’” – genau darin soll dann ihr Wert gegenüber simplen Abenteuergeschichten bestehen – so kann man dann auch lesen, daß Jim Knopf eine Anti-Nazi-Parabel sein soll. Wenn man sich da in seinen nostalgischen Gefühlen nicht gleich noch besser fühlen kann, weil in dem Wissen bestätigt, daß es sich hier um moralisch einwandfreie Kinderliteratur erster Güte handelt.

 

Vor ziemlich genau fünf Jahren hat Julia Voss in der FAZ nämlich unter dem Titel Jim Knopf rettet die Evolutionstheorie erklärt, das sich Michael Ende in seinem Kinderbuch mit der Vereinnahmung Darwins durch die Nazis auseinandersetze. Als ‘Schlüsselmoment’ für das Verständnis der beiden Jim Knopf-Bücher benennt Voss eine Neuerzählung des Atlantis-Mythos. Der versunkene Kontinent ist in der Wilden 13 keine arische Übermenschenwelt  sondern Multikulti-Tummelplatz verschiedenster stereotyper ethnischer Gruppen mit paradiesischer Symbolik. Wie sich herausstellt (Achtung, Spoiler) ist Lummerland soetwas wie die Spitze dieses Atlantis-Eisbergs – eine irgendwie seltsame Angelegenheit, denn Lummerland ist von Voss auch schon als eine Metapher für das England der Kolonialzeit dechiffriert worden. Vielleicht sollte das auch ganz avanciert heißen, daß der kapitalistische Liberalismus mit Kolonialismus aufs engste verbandelt ist – aber man darf es bezweifeln.

 

Das zweites Indiz dafür, wie sehr Ende vom NS beeinflußt gewesen sei, ist das Rassenreinheitsgebot der Drachen – Kummerland ist entsprechend beschildert mit „!Achtung! Der Eintritt ist nicht reinrassigen Drachen bei Todesstrafe verboten.“ In Frau Mahlzahns Schule werden dann auch Kindern mit zackigem Befehlston falsche Wahrheiten (aka Rechenaufgabenergebnisse) eingeprügelt. Die Schilderung der Szenerie in der Drachenstadt weckt auch darüberhinaus KZ-Assoziationen: das rauchende Ofenloch, in das man mit dem Zug (die arme als Drachen verkleidete Lokomotive Emma) hineinfährt, drinnen ist es voller Rauch- und Gasschwaden und Rampen gibt es auch noch.

 

Hier endet allerdings die Parallele auch schon – denn es wird niemand ermordet sondern nur Kinder gequält. Der böse Drache wird dann entsprechend auch nicht umgebracht, nicht einmal eingesperrt, sondern kurzerhand ‘umgedreht’ – in einen goldenen Drachen der Weisheit verwandelt. Wenn wir jetzt noch bei der NS-Analogie bleiben wollen, ist das also Lernen aus, nein sogar moralische Besserung durch Auschwitz?!

 

Ich glaube, wir brechen das Gedankenexperiment an der Stelle lieber ab, oder?

 

Also ja, Michael Ende war offensichtlich kein Nazi und trotzdem war er – als zum Kriegsende 15-jähriger - vom Nationalsozialismus geprägt. Soweit, so banal. Das heißt aber noch nicht, daß sein Buch nicht rassistisch sein kann.

 

Jim Knopf heißt Jim, weil Lukas fand, daß er „einfach so aussieht“. Also offensichtlich nicht wie ein Michael, Peter, Klaus oder Hans. (nach dieser Website die beliebtesten Vornamen der 1950er Jahre; unter den 150 genannten Namen sind zwar Abdul, José, Mohammed, Andrzej und John, aber kein Jim)  Weil: er ist ja auch schwarz. Da kann er ja wohl kaum so einen banalen Vornamen haben, oder? (Hint: das könnte jetzt schon rassistisch sein, ne?)

Assoziative Kette? Warum gerade Jim? Fällt uns noch ein Jim ein? Vielleicht aus einem Kindbuch? Gab es nicht eine Figur namens Jim bei Huckleberry Finn? Ist ja auch egal…

 

Laut Voss ist Jim Knopf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nach Jemmy Button benannt, “ein[em] farbige[n] Junge[n], der, wie ein Findling ohne Wurzeln und Herkunft, in einer neuen Welt die Augen aufschlägt.” Was natürlich nicht in dem Artikel steht, ist daß besagter ‘Jemmy Button’ eigentlich Orundellico hieß und von Briten aus Feuerland verschleppt worden war um für eine Weile ein Kuriositätendasein in Großbritannien zu führen.

 

Charles Darwin charakterisierte seinen Mitreisenden wie folgt (wörtliches Zitat aus einer deutschen Übersetzung von “The Voyage of the Beagle” nach JV):

„Jemmy Button war der Liebling aller, aber ebenfalls leidenschaftlich; sein Gesichtsausdruck zeigte sogleich sein freundliches Gemüt. Er war fröhlich, lachte oft und war bemerkenswert mitfühlend mit allen, die Schmerzen litten.”

Na, wenn das nicht mal völlig unproblematisch ist! Ein liebenswert-harmloser Schwarzer mit großem Einfühlungsvermögen? Das geht ja überhaupt nicht in die Richtung Stereotyp. Oder hat jemand eine Wassermelone gesehen? In der selben Textpassage des Originaltextes wird übrigens auch noch erwähnt, daß Jemmy Button sehr eitel und eifersüchtig auf andere gewesen sei. Und der obligatorische Vergleich der entführten Feuerländer'*innen mit kleinen Kindern kommt natürlich auch. (vgl. Charles Darwin: The Voyage of the Beagle bei Project Gutenberg)

 

Ich weiß zwar nicht so richtig was die Stelle in Julia Voss’ Artikel so genau sagen soll – aber wohl, daß sich die Charakterisierung von Jim Knopf mit der von “Jemmy Button” deckt. Ergo: *stereotyp-cringe*

 

Jim Knopf reist nun also mit seinem Vaterersatz Lukas nach China, das – wär hätt’s gedacht - nur so wimmelt von rassistischen Klischees? Chines*innen haben unglaublich viele Kinder, essen die ganze Zeit Reis und der Oberbonze ist natürlich dick, machtversessen und neidisch. Weil das in den Neuauflagen doch etwas too much erschien, wurde ein Versuch unternommen, China in “Mandala” umzubenennen – ein Terminus der dem Hindi kommt aber über den Buddhismus auch eine Tibet-Assoziation bietet. Tja. Auch nicht so gelungen. Aber Hauptsache irgendwie ostasiatisch. Wer kann die schon alle auseinander halten?! (Achtung, Ironie)

 

Das ist jetzt alles kein “Skandal” in dem Sinne – ich meine, wir sprechen hier von einem deutschen Kinderbuch der 1950er, da kann bzw. muß man mit orientalistischen Stereotypen, Exotismus, Rassismus, Sexismus etc. pp. natürlich rechnen. Aber genau da könnte man doch auch einfach sagen, liegt der Zeitkern der Kinderliteratur – nur weil man es selber als Kind gern gelesen hat, hat es keinen intrinsischen Wert, der dem Zahn von Zeit und Fortschritt zu trotzen vermag. Die Idee ist doch schon, Kindern wenigstens den Status Quo der Entwicklung von Egalität zu vermitteln, und nicht, ihnen erst mal Gedankengut von vorvorgestern einzutrichtern, um das dann – Plot Twist! – kritisch zu hinterfragen.

 

Nun kommt aber erschwerend hinzu, daß sogar noch zur Verteidigung Endes vorgebracht wird (also in dem Fall von Julia Voss), daß Michael Ende eben nicht nur ein eskapistischer Schreiberling war, sondern auch politische Ideen verfolgt hat – im oben genannten Artikel deutet sich das im Verweis darauf an, daß Ende Rudolph Steiners Essay „Darwinismus und Sittlichkeit“ an erster Stelle in einer Liste von Texten nannte, die ihn beeinflußt hätten. Während JV sich auf den Darwinismus fixiert, wäre anzumerken, daß es sich bei besagtem Essay um ein Kapitel aus Steiners Philosophie der Freiheit handelt und “Darwinismus und Sittlichkeit” nur dessen Untertitel ist. (XII. Die moralische Phantasie) In dem Text selber geht es um den Progress des ethischen Individualismus der mit der Evolutionstheorie verglichen wird; um Darwin geht es dabei allerdings nicht, vielmehr um den Versuch einer quasi naturwissenschaftlichen Begründung von Sittlichkeit.

 

Statt dessen könnte der Verweis auf Steiner ganz andere Aspekte in Endes Werk beleuchten, möchte man es sich denn so genau ansehen: beispielsweise daß der Atlantis-Mythos keineswegs eine Erfindung der Nazis war, sondern u.a. auch im deutschen Vor-NS-Theosophismus von Rudolph Steiner eine Rolle spielte. Stichwort Wurzelrassentheorie. Insofern ist auch Endes Umdeutung alles andere als erstaunlich oder gar revolutionär. Man muß ihm sein Gutmenschentum auch nicht absprechen, um solche Erzählungen problematisieren zu können.

 

Allerdings läßt sich durchaus feststellen, daß sich ein antimoderner Romantizismus durch Endes Bücher zieht, in denen exotisierte Kinderfiguren als eine Art zivilisationsunverdorbene Heilsbringer fungieren, den den Übeln der Moderne unter Rückgriff auf die so einfachen wie ewigen moralischen Wahrheiten des Guten widerstehen bzw. ihnen den Garaus machen.

 

BTW: Michael Ende war nicht nur Antroposoph sondern auch Anhänger von Silvio Gesells Geldtheorie. Damit erklärt sich dann auch, daß man sich den Antisemitismus in Momo oder dem satanarchäolügenialkohöllischen Wunschpunsch nicht nur eingebildet hat. Weil das jetzt wirklich den Rahmen meines sowieso schon vom Hundertsten ins Tausendste Kommen-Rants sprengen würde, nur ein kurzer Hinweis, auf dem Blog Nichtidentisches wurde das Thema schon mal behandelt: Wie Michael Endes falscher Kapitalbegriff zum Antisemitismus treibt...

 

Angesichts dieser Fülle von Problematiken das Anliegen zu verfolgen, Michael Ende vor den Eskapismusvorwürfen zu retten, mit denen er sich Zeit seines Lebens konfrontiert sah und die heutzutage wirklich niemand mehr erheben würde, erscheint mir doch sehr befremdlich. Tatsächlich liegt Endes Bücher sehr deutlich eine politische Programmatik zugrunde, die – selbstverständlich – im Vergleich zu den Nazis gutmütig, niedlich und harmlos erscheint – aber mit den Nazis können halt (glücklicherweise) auch wenige mithalten. Unter dem Aspekt, was man seinen Kindern heutzutage an Werten vermitteln möchte, sollte Endes Werk aber wirklich nicht mehr die erste Wahl sein.

 

Trotzdem scheint es aber einen Unwillen zu geben, nostalgisch besetzte Kinderbücher auf ihren Inhalt zu reflektieren – wie (laut Zeit) eine Umfrage zur Streichung der rassistischen Begrifflichkeiten ergab, sind überraschenderweise gerade sog. “höhergebildete” Menschen gegen Neuformulierungen. Wenn sich schon dagegen gesträubt wird einzelne unzweifelhaft (!) rassistische Worte aus den Büchern zu entfernen, wie wahrscheinlich ist es dann, daß der vorhandene rassistische Gehalt überhaupt erkannt wird? Nur weil man ein Wort durch ein anderes ersetzt wird die Sache ja nicht gleich anti-rassistisch. Und essentialistische Zuschreibungen qua ethischer Zugehörigkeit sind ja nun fraglos als solche zu betrachten.

 

Nun ja, Jim Knopf hat also Darwin vor den Nazis gerettet und damit uns vor dem Verdacht des Rassimus…

Was soll man dazu sonst noch sagen? Very well done, indeed.

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